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Astralleib in der Moderne

Im deutschen Idealismus nimmt Johann Heinrich Jung-Stilling  wiederum ein Seelenvehikel an, einen feinstofflichen Ätherleib, der zwischen dem physischen Leib und dem absolut immateriellen Geist vermittle. Auch Goethe, Hugo von Hofmannsthal und Friedrich Groos  sind von der Vorstellung des Seelenfahrzeugs beeinflusst. Die Idee einer zwischen der geistigen Welt und der physischen Natur vermittelnden Instanz findet sich auch bei Immanuel Hermann Fichte.Schelling meint, der Körper weise eine während des Lebens verborgene geistige, unsterbliche Seite auf, seine „geistige Gestalt“, die im Tod von der Grobstofflichkeit befreit werde und dann als „feinerer Leib“ fortbestehe. Einen solchen geistigen Aspekt spricht er nicht nur dem Menschen, sondern der gesamten Natur zu; so durchdringen sich bei ihm Ideales und Reales wechselseitig. Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird der Ausdruck „Astralleib“ verwendet, meist mit explizitem Bezug auf Paracelsus, etwa bei Joseph Ennemoser und Franz von Baader. Bei der sogenannten Astralwanderung handelt es sich um die Theorie, dass der Astralleib den Körper zeitweise verlassen kann. Darstellung „eines Heftigen Zornesausbruches“ aus „Der sichtbare und der unsichtbare Mensch“; Hermann Bauer Verlag, 1986

Theosophie und Anthroposophie

Die Theosophin Helena Petrovna Blavatsky verwendete 1888 in ihrer Geheimlehre (The Secret Doctrine) den Begriff „Astralleib“. In Anknüpfung an die theosophische Terminologie und an Paracelsus  benutzte auch Rudolf Steiner schon 1904, als er noch der Theosophischen Gesellschaft angehörte, diesen Ausdruck. Später baute er im Rahmen der von ihm begründeten Anthroposophie seine Lehre vom Astralleib aus. Steiner bezeichnet den Astralleib auch als Trieb- und Empfindungsleib und sieht in ihm eines von vier grundlegenden Wesensgliedern des Menschen. Der Astralleib sei der eigentliche Seelenleib des Menschen, die Substanz, aus der die menschliche Seele gewoben sei. Er soll der Träger des Bewusstseins, der Triebe und Empfindungen und des Egoismus sein. Während alle Lebewesen mit materiellen Körpern, also auch Pflanzen, einen Ätherleib aufweisen, besitzen nur Menschen und Tiere einen Astralleib und damit ein Gefühlsleben. In seiner Eigenschaft als Bewusstseinsträger wird der Astralleib in der anthroposophischen Literatur auch als „Bewusstseinsleib“ bezeichnet, der die Außenwelt wie ein Spiegel in das innere Erleben projiziere. Die Begriffe „Leib“ und „Substanz“ seien nicht im physisch-materiellen Sinn aufzufassen, sondern als Hinweise auf eine Eigenständigkeit des menschlichen Seelenwesens gemeint. Als eigenständige Wesenheit werde der Astralleib erst mit der Geschlechtsreife um das 14. Lebensjahr geboren; bis dahin sei er noch in eine viel weitere Astralsphäre eingebettet. Ebenso wie der Mensch durch seinen physischen Leib in der physischen Umwelt lebt, so lebe er durch seinen Seelenleib in einer seelischen Umgebung. Allerdings habe der moderne Mensch davon kein klares Bewusstsein, da ihm die dafür erforderlichen seelischen Wahrnehmungsorgane fehlten. Diese könnten aber durch entsprechende Seelenübungen entwickelt werden. Damit werde der Mensch zu einem bewussten Mitbewohner der Seelenwelt. Im Astralleib bilden sich nach Steiners Ausführungen mikrokosmisch die großen makrokosmischen Gesetzmäßigkeiten ab. Damit ist ein Bezug zur Sternenwelt gegeben, was den Namen „Astralleib“ rechtfertigt. Astralleib im VEDANTA Etwas anders (als im Hinduismus) ist die Terminologie im Vedanta und im Yoga. Dort ist die ewige und unveränderliche Seele nicht ein nur betrachtender unbeteiligter Zuschauer, sondern steht selbst im Mittelpunkt des jeweiligen individuellen Kreislaufgeschehens. Sie ist während ihrer Teilnahme am Kreislauf vom grobstofflichen Körper und mehreren feinstofflichen Körpern als Hüllen umgeben. Eine solche Hülle wird kośa genannt. Dieses Konzept – wenn auch noch ohne den Begriff kośa – taucht schon in der Taittirīya Upaniṣad auf. Dort wird eine Fünfteilung dargelegt.Auch in der späteren Literatur der verschiedenen Schulen des Vedanta, des Yoga und des Tantra werden gewöhnlich fünf Hüllen unterschieden. Der physische Körper bildet die äußerste Hülle, er ist die „aus Nahrung gemachte Hülle“ (anna-maya kośa). Es folgen drei feinstoffliche Hüllen, die von außen nach innen feiner werden: ganz außen die „aus Prana (Lebenshauch, Vitalkräfte) bestehende Hülle“ (prāṇa-maya kośa), dann die „Hülle der Gemütswelt“ (mano-maya kośa), dann die „Hülle des Bewusstseins (oder Verstehens)“ (vijñāna-maya kośa). Zuinnerst befindet sich die „Hülle der Glückseligkeit“ (ānanda-maya kośa). Eine Hauptfunktion des feinstofflichen Hüllenbereichs besteht darin, die Kontinuität von einer Inkarnation zur nächsten herzustellen, also Anlagen, Wünsche und Neigungen und die Folgen von Handlungen (Karma) von einem Leben zum nächsten zu tragen und so den Kreislauf in Gang zu halten. Die jeweilige Beschaffenheit der  feinstofflichen Körper prägt somit die physischen und psychischen Eigenschaften, die für das Lebewesen in der neuen Inkarnation charakteristisch sind. Die Angaben über die Unterteilung und die Funktionen der Hüllen schwanken.[In späten Vedanta-Texten wird ein „Kausalkörper“ (kāraṇa  śarīra „ursächlicher Körper“) angenommen, der mit der „Hülle der Glückseligkeit“ identifiziert wird. Ihm kommt eine samenhafte Qualität zu. Der Kausalkörper gilt als der Sitz von Kräften, die der Unwissenheit zugeschrieben werden und die Ursache der Wiedergeburt sind.  Übereinstimmung besteht darüber, dass sich die mentale Auswertung der Sinneswahrnehmungen sowie die Willens- und die Denkaktivität einer am Kreislauf teilnehmenden Seele auf der feinstofflichen Ebene in den Hüllen abspielen. Hierzu gehört die gesamte seelische Innenwelt der Formen, Erfahrungen, Vorstellungen, Ideen, Gedanken und Gefühle. Als dafür zuständige Instanzen innerhalb des feinstofflichen Bereichs werden genannt: Intellekt oder Unterscheidungs- und Urteilsfähigkeit (buddhi), Ichbewusstsein (ahaṁkāra) und der Übermittler von Eindrücken und Erfahrungen  (manas); die verschiedenen philosophischen Schulen verwenden diese Begriffe mit etwas unterschiedlichen Bedeutungen.
Anhang