© Ingrid Benning 2024
Astralleib in der Moderne
Im deutschen Idealismus nimmt Johann Heinrich Jung-Stilling
wiederum ein Seelenvehikel an, einen feinstofflichen Ätherleib, der
zwischen dem physischen Leib und dem absolut immateriellen Geist
vermittle. Auch Goethe, Hugo von Hofmannsthal und Friedrich Groos
sind von der Vorstellung des Seelenfahrzeugs beeinflusst. Die Idee
einer zwischen der geistigen Welt und der physischen Natur
vermittelnden Instanz findet sich auch bei Immanuel Hermann
Fichte.Schelling meint, der Körper weise eine während des Lebens
verborgene geistige, unsterbliche Seite auf, seine „geistige Gestalt“,
die im Tod von der Grobstofflichkeit befreit werde und dann als
„feinerer Leib“ fortbestehe. Einen solchen geistigen Aspekt spricht er
nicht nur dem Menschen, sondern der gesamten Natur zu; so
durchdringen sich bei ihm Ideales und Reales wechselseitig.
Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird der Ausdruck
„Astralleib“ verwendet, meist mit explizitem Bezug auf Paracelsus,
etwa bei Joseph Ennemoser und Franz von Baader. Bei der
sogenannten Astralwanderung handelt es sich um die Theorie, dass
der Astralleib den Körper zeitweise verlassen kann.
Darstellung „eines Heftigen Zornesausbruches“ aus
„Der sichtbare und der unsichtbare Mensch“; Hermann Bauer Verlag, 1986
Theosophie und Anthroposophie
Die Theosophin Helena Petrovna Blavatsky verwendete 1888 in ihrer
Geheimlehre (The Secret Doctrine) den Begriff „Astralleib“. In
Anknüpfung an die theosophische Terminologie und an Paracelsus
benutzte auch Rudolf Steiner schon 1904, als er noch der
Theosophischen Gesellschaft angehörte, diesen Ausdruck. Später
baute er im Rahmen der von ihm begründeten Anthroposophie seine
Lehre vom Astralleib aus.
Steiner bezeichnet den Astralleib auch als Trieb- und Empfindungsleib
und sieht in ihm eines von vier grundlegenden Wesensgliedern des
Menschen. Der Astralleib sei der eigentliche Seelenleib des Menschen,
die Substanz, aus der die menschliche Seele gewoben sei. Er soll der
Träger des Bewusstseins, der Triebe und Empfindungen und des
Egoismus sein. Während alle Lebewesen mit materiellen Körpern, also
auch Pflanzen, einen Ätherleib aufweisen, besitzen nur Menschen und
Tiere einen Astralleib und damit ein Gefühlsleben. In seiner
Eigenschaft als Bewusstseinsträger wird der Astralleib in der
anthroposophischen Literatur auch als „Bewusstseinsleib“ bezeichnet,
der die Außenwelt wie ein Spiegel in das innere Erleben projiziere. Die
Begriffe „Leib“ und „Substanz“ seien nicht im physisch-materiellen Sinn
aufzufassen, sondern als Hinweise auf eine Eigenständigkeit des
menschlichen Seelenwesens gemeint. Als eigenständige Wesenheit
werde der Astralleib erst mit der Geschlechtsreife um das 14.
Lebensjahr geboren; bis dahin sei er noch in eine viel weitere
Astralsphäre eingebettet. Ebenso wie der Mensch durch seinen
physischen Leib in der physischen Umwelt lebt, so lebe er durch
seinen Seelenleib in einer seelischen Umgebung. Allerdings habe der
moderne Mensch davon kein klares Bewusstsein, da ihm die dafür
erforderlichen seelischen Wahrnehmungsorgane fehlten. Diese
könnten aber durch entsprechende Seelenübungen entwickelt werden.
Damit werde der Mensch zu einem bewussten Mitbewohner der
Seelenwelt.
Im Astralleib bilden sich nach Steiners Ausführungen mikrokosmisch
die großen makrokosmischen Gesetzmäßigkeiten ab. Damit ist ein
Bezug zur Sternenwelt gegeben, was den Namen „Astralleib“
rechtfertigt.
Astralleib im VEDANTA
Etwas anders (als im Hinduismus) ist die Terminologie im Vedanta und
im Yoga. Dort ist die ewige und unveränderliche Seele nicht ein nur
betrachtender unbeteiligter Zuschauer, sondern steht selbst im
Mittelpunkt des jeweiligen individuellen Kreislaufgeschehens. Sie ist
während ihrer Teilnahme am Kreislauf vom grobstofflichen Körper und
mehreren feinstofflichen Körpern als Hüllen umgeben. Eine solche
Hülle wird kośa genannt. Dieses Konzept – wenn auch noch ohne den
Begriff kośa – taucht schon in der Taittirīya Upaniṣad auf. Dort wird
eine Fünfteilung dargelegt.Auch in der späteren Literatur der
verschiedenen Schulen des Vedanta, des Yoga und des Tantra werden
gewöhnlich fünf Hüllen unterschieden. Der physische Körper bildet die
äußerste Hülle, er ist die „aus Nahrung gemachte Hülle“ (anna-maya
kośa). Es folgen drei feinstoffliche Hüllen, die von außen nach innen
feiner werden: ganz außen die „aus Prana (Lebenshauch, Vitalkräfte)
bestehende Hülle“ (prāṇa-maya kośa), dann die „Hülle der
Gemütswelt“ (mano-maya kośa), dann die „Hülle des Bewusstseins
(oder Verstehens)“ (vijñāna-maya kośa). Zuinnerst befindet sich die
„Hülle der Glückseligkeit“ (ānanda-maya kośa).
Eine Hauptfunktion des feinstofflichen Hüllenbereichs besteht darin, die
Kontinuität von einer Inkarnation zur nächsten herzustellen, also
Anlagen, Wünsche und Neigungen und die Folgen von Handlungen
(Karma) von einem Leben zum nächsten zu tragen und so den
Kreislauf in Gang zu halten. Die jeweilige Beschaffenheit der
feinstofflichen Körper prägt somit die physischen und psychischen
Eigenschaften, die für das Lebewesen in der neuen Inkarnation
charakteristisch sind.
Die Angaben über die Unterteilung und die Funktionen der Hüllen
schwanken.[In späten Vedanta-Texten wird ein „Kausalkörper“ (kāraṇa
śarīra „ursächlicher Körper“) angenommen, der mit der „Hülle der
Glückseligkeit“ identifiziert wird. Ihm kommt eine samenhafte Qualität
zu. Der Kausalkörper gilt als der Sitz von Kräften, die der Unwissenheit
zugeschrieben werden und die Ursache der Wiedergeburt sind.
Übereinstimmung besteht darüber, dass sich die mentale Auswertung
der Sinneswahrnehmungen sowie die Willens- und die Denkaktivität
einer am Kreislauf teilnehmenden Seele auf der feinstofflichen Ebene
in den Hüllen abspielen. Hierzu gehört die gesamte seelische
Innenwelt der Formen, Erfahrungen, Vorstellungen, Ideen, Gedanken
und Gefühle. Als dafür zuständige Instanzen innerhalb des
feinstofflichen Bereichs werden genannt: Intellekt oder
Unterscheidungs- und Urteilsfähigkeit (buddhi), Ichbewusstsein
(ahaṁkāra) und der Übermittler von Eindrücken und Erfahrungen
(manas); die verschiedenen philosophischen Schulen verwenden diese
Begriffe mit etwas unterschiedlichen Bedeutungen.
Anhang